Zelluläre Dechiffriermaschinen in Aktion

Forschende beobachten Strukturveränderung von Ribosomen und deren Wechselwirkungen mit einem Krebsmedikament während der Übersetzung des genetischen Codes in Proteine

7. Juli 2023

Forschende der Abteilung Molekulare Soziologie des Max-Planck-Instituts für Biophysik haben erstmals die dynamische Strukturveränderung von Ribosomen während der Proteinproduktion in menschlichen Zellen visualisiert. Mittels hochauflösender zellulärer Tomographie erzeugten sie 3D-Bilder der Ribosomen in Aktion und entschlüsselten so auch den Angriffspunkt und die Wirkweise eines Leukämie-Medikamentes, das die Proteinbiosynthese in Zellen hemmt.

Text: Katharina Käfer

Im Sekundentakt stellen unsere Zellen Proteine her. Unser Körper benötigt diese Proteine für alle lebensnotwendigen Prozesse wie Wachstum, Stoffwechsel oder Immunabwehr. Zuständig für die Fließbandproduktion anhand eines strengen Bauplans sind die Ribosomen. Wie Dechiffriermaschinen übersetzen sie eine Kopie des genetischen Codes in Hochgeschwindigkeit in eine Kette aus einzelnen Aminosäure-Bausteinen, die später zum fertigen Protein gefaltet wird. Während dieses Prozesses, der Translation genannt wird, durchlaufen die aus RNA und Proteinen bestehenden Ribosomen dynamisch strukturelle Veränderungen, bis sie schließlich recycelt werden.

Zusammenspiel verschiedener Maschinen in der Zelle

Das vollständige Verständnis solcher biochemischer Vorgänge inklusive Strukturaufklärung  trägt häufig zu einem besseren Verständnis von physiologischen Funktionsstörungen oder Erkrankungen bei. In vitro, was so viel heißt wie im Reagenzglas, haben Wissenschaftler*innen die Struktur der Ribosomen in den verschiedenen Translationsstufen bereits untersucht und größtenteils aufgeklärt. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Martin Beck, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik, hat nun die dynamische Strukturänderung von Ribosomen während der Translation erstmals innerhalb von menschlichen Zellen visualisiert. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift Science.

„Wenn wir ganz genau verstehen wollen, wie molekulare Maschinen, zum Beispiel die Ribosomen, funktionieren und warum ihre Funktion manchmal gestört ist, dürfen wir sie nicht nur isoliert betrachten“, erklärt Martin Beck.  „Wir müssen sie in Aktion in ihrer natürlichen Umgebung untersuchen und das Zusammenspiel mit anderen Zellbestandteilen berücksichtigen.“

Man kann sich das vorstellen wie bei Maschinen, die wir aus unserem Alltag kennen. Funktioniert der WLAN-Router nicht, ist nicht unbedingt das Gerät selbst defekt. Vielleicht ist auch die Stromversorgung unterbrochen oder ein Kabel oder eine Leitung beschädigt.

3D-Bilder durch Zelluläre Tomographie

 

3D-Bilder der Ribosomen zu verschiedenen Zeitpunkten des Translationszyklus in der Zelle erzeugte das Team um Beck mit Hilfe von zellulärer Tomographie. „Mit modernsten Elektronenmikroskopen und ausgefeilter Bildverarbeitung können wir die Ribosomen in menschlichen Zellen in beinahe atomarer Auflösung visualisieren. Dazu schockgefrieren wir ganze Zellen und schneiden sie in ultradünne Scheiben“ , erklärt Huaipeng Xing, Doktorand und Erstautor der Studie. „Im Mikroskop durchdringt dann ein Elektronenstrahl die Schnitte. Durch die Wechselwirkungen der Elektronen mit den unterschiedlichen Bestandteilen der Probe entsteht ein Bild. Wir nehmen Bilder aus vielen unterschiedlichen Winkeln auf und kombinieren sie am PC miteinander, um 3D-Strukturen der Ribosomen in der Zelle zu erhalten.“

 

Die Forschenden konnten mittels hochauflösender Elektronentomographie aber nicht nur die Ribosomen in menschlichen Zellen abbilden, sondern auch erstmals sichtbar machen, wie das Leukämie-Medikament Homoharringtonin (HHT) an Ribosomen bindet. Es hemmt dadurch die Translation – und somit die Proteinproduktion – und versetzt die Ribosomen in eine Art Winterschlaf. „Arzneistoffmoleküle an ihrem Wirkort hochaufgelöst abzubilden, könnte in Zukunft helfen, diese noch passgenauer zu designen, um die Wirkung zu verbessern und Nebenwirkungen zu reduzieren“, so Beck.

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