Verpackungswunder der Natur – wie Proteine unsere DNA in Schlaufen legen
Hast du schon einmal an einer Schlaufe eines Kabelsalats gezogen und noch mehr Knoten erzeugt? Ein wahrer Verpackungskünstler in unserem Körper, das Protein Smc5/6, kann das, ohne ein unentwirrbares Chaos anzurichten. Smc5/6 hilft, unsere meterlange DNA knotenfrei in den winzigen Kernen unserer Zellen zu verstauen und die Aktivität unserer Gene zu steuern. Macht Smc5/6 Fehler, kann unser Erbmaterial geschädigt werden. Erbkrankheiten, Entwicklungsstörungen oder Krebs sind die Folge. Wenn wir verstehen, wie Smc5/6 funktioniert, können wir neue Ansatzpunkte für medizinische Therapien finden.
Text: Katharina Käfer
Gordische Knoten überwinden
Viele kennen es noch aus der Zeit vor kabellosen Kopfhörern: Auf dem Weg zum Bahnhof in der morgendlichen Hektik noch rasch die Handy-Kopfhörer in die Tasche geworfen, um den Arbeitsweg mit der Lieblingsmusik zu versüßen. Auf die Freude, die Bahn gerade noch erwischt zu haben, folgt Ernüchterung. Dem physikalischen Prinzip des Strebens nach Unordnung folgend, haben sich die Kopfhörer zu einem Kabelsalat verheddert. Während für uns die Entwirrung des Malheurs schnell zu einem echten Geduldstest werden kann, hat die Natur in unseren Körperzellen für eine Lösung gesorgt, die Ordnung ins Chaos bringt – nämlich durch spezielle Proteine, die unsere meterlange fadenförmige DNA sicher ver- und entpacken.
Zwei Meter DNA in jedem winzigen Zellkern
Fortpflanzung und Evolution beruhen darauf, dass Erbinformationen bewahrt, angepasst und weitergegeben werden. Gene entscheiden über das Aussehen, beispielsweise die Augen- oder Haarfarbe. Sie enthalten einen Bauplan für Proteine, die der Körper für den Stoffwechsel, den Energiehaushalt oder zur Signalweiterleitung braucht. Die genetische Information ist in Form von DNA in fast jeder einzelnen Zelle eines Lebewesens gespeichert, genauer gesagt in den Kernen dieser Zellen. Zwei Meter fadenförmige DNA-Moleküle müssen in den Zellkern gequetscht werden, der nur wenige tausendstel Millimeter groß ist. Das ist, als würde man einen 20 km langen Wollfaden in einen Tischtennisball zwängen wollen. Deswegen liegt die DNA platzsparend in sich verdrillt in Form der X-förmigen Chromosomen vor, die wir aus Biologie-Lehrbüchern kennen. Im Lebenszyklus einer Zelle müssen die Chromosomen aber immer wieder aufgelockert und verdichtet werden, zum Beispiel bei der Zellteilung oder wenn genetische Informationen in physische Merkmale oder lebenswichtige biochemische Prozesse übersetzt werden. Dass dabei kein Durcheinander entsteht, ist zwar kaum vorstellbar, aber äußerst wichtig. Passieren nämlich bei der DNA-Organisation Fehler oder wird das Erbgut beschädigt, kann das zu seltenen Erbkrankheiten, Entwicklungsstörungen oder Krebs führen. Wie also verhindern unsere Zellen einen hoffnungslosen Kabelsalat aus DNA?
Verpackungshelfer legen DNA in Schlaufen
Die Zellkerne sind mit eifrigen Ordnungshelfern ausgestattet, den sogenannten SMC-Proteinen - aus dem Englischen für Structural Maintainance of Chromosomes. Diese können die DNA in Schlaufen legen. Dies kann man sich vorstellen, als würde man bei dem Kopfhörer-Knäuel an einer Stelle des Kabels ziehen und das herausgezupfte Stück unten mit der Hand zusammenhalten, sodass eine Schlaufe entsteht (Abb. 1).
Diese Technik hat mehrere Vorteile. Erstens können SMC-Proteine so die meterlange DNA durch sukzessives Schlaufenlegen platzsparend verpacken, ohne ein unentwirrbares Durcheinander zu erzeugen, ähnlich, wie wenn man ein Seil zusammenlegt. Zweitens kann die Zelle auf diese Weise steuern, welche Gene aktiv sind und welche Proteine hergestellt werden sollen. Durch das Herausziehen von Schlaufen aus dem DNA-Knäuel werden diejenigen Gene, die innerhalb der Schlaufen liegen, hervorgehoben. Andere Abschnitte wiederum, die normalerweise weit voneinander entfernt sind und sich nun im unteren Teil der Schlaufe befinden, kommen einander nah und können interagieren. So kann die Zelle die Genexpression koordiniert ankurbeln, beispielsweise weil wir wachsen oder uns fortpflanzen, oder auch hemmen, wenn bestimmte Proteine in ausreichender Menge vorhanden sind oder die Zelle ihre Energie für andere Prozesse benötigt.
Leuchtende Schlaufen im Mikroskop – wie Smc5/6 die Aktivität unserer Gene steuert
Zwar haben Forschende im vergangenen Jahrzehnt bereits einige der SMC-Ordnungstalente untersucht, jedoch bleiben nach wie vor Fragen nach der genauen Rolle und Funktion spezifischer SMC-Proteine offen. Unsere neusten Forschungsergebnisse zeigen Smc5/6 in Aktion. Damit wir das Schlaufenspektakel, das sich auf einer winzigen Größenskala abspielt, live und in Farbe beobachten können, markieren wir sowohl die DNA als auch die Smc5/6-Proteine mit verschiedenen Farbstoffen, die fluoreszieren. Wenn wir sie mit weißem Licht bestrahlen, leuchten sie in einer bestimmten Farbe. Mit speziellen Fluoreszenzmikroskopen können wir dann die Schlaufenbildung in vitro in Echtzeit anschauen (Abb. 2).
So können wir beispielsweise beobachten, wie einzelne rot markierte Smc5/6- Proteine an der leuchtend türkisfarbenen DNA wie die Waggons auf einer Achterbahn auf den Schienen entlangfahren. Nur wenn sich zwei Smc5/6-Proteine zusammenlagern und ein Dimer bilden, können sie Schlaufen aus der DNA herausziehen. Dadurch verfügt die Zelle über einen Kontrollmechanismus, mit dem sie die Schlaufenlegung steuern kann. Wichtig dafür sind zwei der insgesamt acht Untereinheiten von Smc5/6 selbst. Wenn wir diese aus dem Protein entfernen, sehen wir, dass immer weiter unendlich viele Schlaufen geformt werden. Wie diese beiden Untereinheiten in der Zelle aktiviert oder deaktiviert werden, möchten wir als Nächstes herausfinden. Dazu nähern wir den Inhalt unseres „Reagenzglases“, also der Probe, die wir untersuchen, immer mehr den realen Bedingungen im Zellkern an.
Sobald wir die Organisationsstrukturen unserer DNA und die Rolle von Smc5/6 bis ins Detail verstehen, bringt dies die medizinische Forschung voran. Nur wenn wir wissen, wie gesundheitsgefährdende Fehler und Defekte entstehen, können medizinische Therapien entwickelt werden, um Schäden zu beheben oder vorzubeugen.